Leopold von (seit 1865) Ranke wurde am 20. oder 21. Dezember 1795 als ältester Sohn des Rechtsanwalts Gottlob Israel Ranke und seiner Frau Friederike, geb. Lehmike, in Wiehe an der Unstrut geboren. Nach dem Besuch der Fürstenschule Schulpforta studierte er seit 1814 Theologie und Philologie an der Universität Leipzig, wo er im Jahre 1817 mit der Arbeit über Thukydides promoviert wurde. Ein Jahr später nahm er eine Stelle als Gymnasiallehrer in Frankfurt an der Oder an, wo er unter anderem für den Geschichtsunterricht zuständig war. Diese neue Aufgabe verlangte von ihm eine intensive Auseinandersetzung mit historischen Fragen, was zwangsläufig zu Lasten seiner ursprünglichen Studienfächer gehen musste. Indes fiel Ihm der Wechsel seines Forschungsgegenstandes nicht schwer, da er den Verlauf der Geschichte als etwas Göttlich Gegebenes ansah und daher die Erforschung der Geschichte als einen Dienst an Gott begriff. An dieser religiösen Ansicht vom Wesen und Wert seiner Wissenschaft hat Ranke Zeit seines Lebens festgehalten, aus ihr erklärt sich geradezu zwangsläufig auch der universalistische Ansatz seines Schaffens.
In seinen Frankfurter Jahren entstand sein erstes Buch über die
»Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494
bis 1535«. Das Manuskript, das er 1824 dem Verleger Georg
Andreas Reimer zusandte, war von ihm noch gar nicht für den
Druck vorgesehen, sondern sollte noch um einen zweiten Teil
ergänzt werden.
Doch Reimer gab das Werk, dessen Anhang eine »Kritik neuerer
Geschichtsschreiber« enthielt, ohne weiteres in Druck. Dieser
Entschluß sollte sich rasch als ein Glücksgriff für Verleger
und Verfasser herausstellen, denn es fand die einhellige
Zustimmung der führenden Gelehrten der Zeit. Ranke wurde als
ein »Wiederhersteller der Historie« begrüßt und erhielt zudem
einen Ruf auf eine außerordentliche Professur für Geschichte an
die Berliner Universität, dem er 1825 folgte. In den nächsten
beiden Jahren entstand seine Arbeit über die »Fürsten und
Völker von Südeuropa «. Auch wenn diese Arbeit erneut sehr
wohlwollend von der Fachwelt aufgenommen wurde, entschloß sich
Ranke, seine Studien in italienischen Archiven fortzusetzen und
beantragte mit Erfolg beim preußischen Kultusministerium die
Mittel für eine mehrjährige Forschungsreise.
Diese führte ihn zwischen 1827 und 1831 über Wien, wo Teile der
venezianischen Archivalien lagerten, nach Venedig, Florenz, Rom
und Neapel. Die Arbeit mit dem Quellenmaterial bot nicht nur
die Grundlage zu einem seiner Hauptwerke, »Die römischen
Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert«
(1834), sondern ließ ihn auch die Bedeutung des kritischen
Quellenstudiums für die Geschichtsforschung an sich erkennen.
»Ad fontes « (Zu den Quellen) wurde zu einem unumstößlichen
Grundsatz Rankes und begründete zugleich seinen Ruf als
eigentlicher Vater der modernen Geschichtswissenschaft. Stets
bemüht, möglichst objektiv und unparteilich darzustellen, »wie
es eigentlich gewesen «, war er weder bereit, Vergangenes zu
richten, noch für die Zukunft Lehren zu erteilen. Ranke lehnte
es ab, eine Epoche als bloße Stufe zu einer fortgeschritteneren
Existenz aufzufassen, wie es die Geschichtsphilosophie Hegels
lehrte. Seiner Auffassung nach trug jede Epoche ihren Wert und
Sinn in sich selbst und war als etwas für sich selbst Gültiges
anzusehen ( »jede Epoche ist unmittelbar zu Gott«).
Rankes historisches Denken, das weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus wirkte, enthielt ein Konzept, das spätere
Historiker als »Historismus« bezeichneten und
weiterentwickelten. Schon Zeitgenossen hatten Rankes
Ästhetizismus, seine politische Ängstlichkeit und seine Neigung
zur Harmonisierung kritisiert. Unbestreitbar lag der Verdienst
des Konzepts darin, dass es die Vielfältigkeit historischer
Zusammenhänge erkennbar machte und eine Historisierung des
Denkens an sich einleitete. Doch lähmte es zugleich durch seine
völlige Relativierung der Vergangenheit den Primat der Kritik
des Historikers, da es jeder Epoche nur ihr historisches Recht,
nicht aber ihr historisches Unrecht zuerkannte. Allerdings
hatte Ranke selbst niemals den Anspruch erhoben, ein
Theoretiker seines Faches zu sein. Für ihn lag die Aufgabe des
Historikers darin, »zugleich literarisch und gelehrt« zu sein,
die Historie gleichermaßen als Kunst und Wissenschaft zu
betreiben.
Seine Anstrengungen schlugen sich in zahlreichen Ehrungen und
Berufungen nieder. Nachdem er 1832 in die Preußische Akademie
der Wissenschaften und 1834 zum Ordinarius in Berlin berufen
worden war, folgte 1841 seine Ernennung zum Historiographen des
preußischen Staates. Obwohl Ranke politisch den Konservativen
nahestand, wie »Das Politische Gespräch« (1836), neben den
»Großen Mächten« (1833) eine seiner wichtigsten Abhandlungen,
erkennen läßt, lehnte er zeitlebens den übersteigerten
Nationalismus der borussischen Geschichtsschreibung eines
Treitschke oder Droysen ab.
Zu seinen weiteren Hauptwerken zählen neben der »Deutschen
Geschichte im Zeitalter der Reformation « (6 Bände, 1839 -
1847) auch die »Neun Bücher preußischer Geschichte« (3 Bände,
1847 - 1848, erweitert zu »Zwölf Bücher preußischer
Geschichte«, 1878 - 1879) sowie die »Französische Geschichte im
16. und 17. Jahrhundert« (5 Bände, 1852 - 1861) und die
»Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert« (7 Bände,
1859 - 1868). Noch als 80jähriger krönte Ranke sein Werk mit
einer »Weltgeschichte«. Sie musste allerdings unvollendet
bleiben: Am 23. Mai 1886 starb Leopold von Ranke im Alter von
91 Jahren in Berlin.
Jürgen Elvert
http://www.ranke-gesellschaft.de/index.php/Leopold_von_Ranke.html , abgerufen 11.10.2024
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