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Thesen in Auswertung Konferenz

Thesen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Zusammenarbeit in der deutsch-polnischen Grenzregion

Ergebnisse der Fachveranstaltung am 18.04.2024 im Logensaal der Europauniversität Viadrina zum Thema:

Der deutsch-polnische Grenzraum - Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Vision und Realität“

1. Die Europäische Perspektive

Grenzregionen und Erfolgsfaktoren

• Generell, so auch in den Grenzregionen, gelten entsprechend der klassischenNationalökonomie drei ProduktionsfaktorenArbeit (Humankapital), Boden (Bodenschätze, Natur, Umwelt und Infrastruktur)und Kapital (Sachkapital, Produktionsverfahren, Patente, Standards), die heute weiter gefasst werden.
• Grenzregionen liegen in der Regel peripher zu den jeweiligen nationalen Zentren mit Infrastrukturdefiziten und unterdurchschnittlicher Bevölkerungsdichte.
• Grenzregionen gelten allgemein als strukturell problematisch, weil Mentalitätsunterschiede, Sprachbarrieren und unterschiedliche Rechtssysteme Kosten verursachten, die wirtschaftliches Wachstum hemmen.
• Gewinnerregionen fallen durch Offenheit gegenüber Technologien, eine gelebte Unternehmenskultur und durch eine besondere Hinwendung zum Faktor Mensch auf.
• Grenzregionen können den Marktzugang zum Nachbarn und die Entwicklung und Etablierung binationaler und europäischer Projekte befördern.

Arbeitsmarkt

• Standortentscheidungen von Unternehmen hängen entscheidend von der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte ab.
• Die Gewinnung von Talenten entscheidet über den Erfolg der Regionen. Die deutsch-polnische Grenzregion muss sich neu aufstellen, um für Talente aus der Region und aus anderen Ländern attraktiver zu werden.
• Mit einer gezielten Migrationsstrategie kann auf europäischer und binationale Ebeneden negativen Auswirkungen des demographischen Wandels entgegengewirkt werden.

Infrastruktur und Verwaltung

• Das Niveau und die Verlässlichkeit der technischen Infrastruktur (darunter Breitband-Zugang und flächendeckende Mobilfunkabdeckung) und schnelle und effiziente Entscheidungen bei Erweiterungen sind im Standortwettbewerb entscheidend.
• Die Qualität der öffentlichen Verwaltung im Umgang mit der Wirtschaft (Professionalität, Schnelligkeit, Kundenorientierung, Risikobereitschaft) prägen das Image eines Standortes erheblich.
2. Die regionale Perspektive

Aktionsradius und Koordinierung

• Für die Entwicklung der deutsch-polnischen Grenzregion müssen angrenzende Metropolen und die Hauptstädte (Berlin, Poznań, Warschau) einbezogen werden. Das Handeln in den administrativen Grenzen der Euroregionen ist zu eng gefasst.
• Für eine koordinierte wirtschaftliche Entwicklung mangelt es schon auf der deutschen Seite an Abstimmung zwischen den Städten und Landkreisen.
• Die Regionalpolitik sollte grenzüberschreitend in Form einer dauerhaften TASK-Force die relevanten Themen (z.B. Verkehrsinfrastruktur, Wohnungsmarkt, Gesundheit) gemeinsam angehen. Das Verständnis für eine gemeinsame Region kann über die Lösung gemeinsamer Probleme wachsen.

Innovationspotenziale

• Das Potenzial an Forschung, Entwicklung und Hochschulbildung ist auf wenige renommierte Einrichtungen in der Grenzregion beschränkt, die eher isoliert vom Umfeld agieren.
• Verwaltung und Wirtschaft der Grenzregion müssen attraktive Projektangebote entwickeln, um Hoch- und Fachschulen und Forschungsinstitute für ein regionales Engagement zu gewinnen. Andererseits haben öffentlich finanzierte Bildungs- und Forschungseinrichtungen eine Beitragspflichtzur Regionalentwicklung.
• Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Viadrina ist zu wenig auf europäische, grenzüberschreitende und regionale Inhalte ausgerichtet. Europäische (z.B. in der Mikroelektronik) könnten Themen wissenschaftlicher Untersuchungen sein, um die Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit der EU zu erhöhen.
• Absolventen der Hochschulen, wie der Viadrina, müssen stärker durch Angebote aus Wirtschaft und Verwaltung an die Region gebunden werden.

Markt und Arbeit

• Die Region braucht dringend mehr hochqualitative, wertschöpfende Produktion, die weit über dem Niveau des Niedriglohn-Sektors liegt. Neue Technologien mit ambitionierten Wachstumszielen in Europa bieten das Potenzial
• Polnische Unternehmen im Grenzraum sind auf den deutschen Markt fokussiert.
• Der deutsche Grenzraum ist für polnische Unternehmen als Investitionsstandort aufgrund kurzer Wege und der Präsenz  im bevorzugten Markt von besonderem Interesse.
• Der deutsche Arbeitsmarkt ist für polnische Arbeitskräfte attraktiv. Die Zahl der Einpendler hat mit steigender Tendenz ein hohes Niveau erreicht.
• Für die Unternehmensnachfolge in deutschen Unternehmen können auch polnische Führungskräfte gewonnen werden. (z.B. Halbleitertechnik/Mikroelektronik).
• Die Städte Poznań, Gorzów, Szczecin bieten erhebliches Potenzial für eine Zusammenarbeit mit regionalen deutschen Unternehmen. Viele Möglichkeiten bleiben ungenutzt.

Hemmnisse

• Polnische Unternehmen bevorzugen eher kurzfristige, deutsche Unternehmen eher mittel bis langfristige Planungshorizonte.
• Die Überwindung von Sprachbarrieren und von Unterschieden in Kultur und Mentalität, die die grenzüberschreitende Wirtschaftskooperation hemmen, braucht einen ganzheitlichen Bildungsansatz vom Kindergarten, über die Schule bis hin zur Berufs- und Hochschulausbildung.

Kommunikation

• Die Vorteile der Grenzregion müssen selbstbewusster vertreten, die Angebote und Synergien innerhalb und außerhalb der Grenzregion deutlicher und intensiver kommuniziert werden.
3. Die städtischePerspektive

Situation, Wettbewerb und Wahrnehmung

• Die Doppelstadt Frankfurt (Oder)-Slubice ist gegenwärtig nicht das wirtschaftliche Zentrum der deutsch - polnischen Grenzregion. Die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung hat sich in die Eurostadt Guben - Gubin verlagert. 
• Der Anspruch von Frankfurt (Oder) als Hauptstadt Ostbrandenburgs wird von den umliegenden Landkreisen und Gemeinden nicht akzeptiert.  Frankfurt (Oder) verfügt nicht über die Wirtschaftskraft, um eine hervorgehobene regionale Position einzunehmen.
• Die wirtschaftliche Substanz von Frankfurt (Oder) ist für eine nachhaltige Stadtentwicklung unzureichend.
• In Guben - Gubin ist Konkurrenz wenig ausgeprägt, die Investorenbetreuung ist stärker unternehmensorientiert, in Frankfurt (Oder) - Słubice verwaltungsorientiert.
• Frankfurt(Oder) war einst aufnahmefähig für anspruchsvolle Industrieansiedlungen.

Die Stadt ist gegenwärtig nicht in der Lage die dafür vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen

• Die Gründungsquote in Frankfurt (Oder) liegt über dem Durchschnitt. Die Gründungen sind jedoch mit wenig Wertschöpfung auf regionale Nachfrage ausgerichtet und wenig innovativ.
• Bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Frankfurt(Oder) und Slubice dominieren Kulturprojekte.
• Die Tourismuswirtschaft gewinnt an Bedeutung, es fehlt an Qualität  und Fokussierung.
• Der Anspruch der europäisch ausgerichteten Doppelstadt wird auf nationaler Ebene unzureichend und auf europäischer Ebene kaum wahrgenommen.

4.Empfehlungen für Frankfurt(Oder)

Strategie

• Frankfurt(Oder) braucht ein Konzept zur strategischen Ausrichtung der wirtschaftlichenEntwicklung u.a. mit folgenden Schwerpunkten:

- Realistische Bewertung der  Standortbedingungen nach Branchen und Gewerken

-Identifizierung von Wachstumschancen im Bestand und für neue Ansiedlungen

-Verbesserung ausgewählter Standortbedingungen zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit 

            - Maßnahmepaket mit smarten Zielen, definiertem Finanzvolumen und klaren Verantwortlichkeiten.

• Wirtschaftsförderung muss als ganzheitliche Aufgabe der Stadtverwaltung verstanden werden und braucht einen Paradigmenwechsel.
• Der Tourismus muss sich auf Produktangebote mit Alleinstellungsmerkmalen konzentrieren.

            Innovationspotential

• Den wissenschaftlichen Einrichtungen müssen für ein regionales Engagement passende Projektangebote unterbreitet werden. Die Initiative muss von der Stadt ausgehen.
• Gründungen der Viadrina sollten frühzeitig an die Stadt gebunden werden

- aktive Betreuung durch die städtische Wirtschaftsförderung

 - Schaffung eines geeigneten Umfelds mit passenden Räumlichkeiten

- Verknüpfung mit grenzüberschreitenden Netzwerken.

• Im Handlungsplan Frankfurt (Oder) - Słubice muss das Thema Wirtschaft deutlich aufgewertet werden:

- Fokussierung auf gemeinsame, substanzielle erfolgversprechende Projekte

              - Stringente Umsetzung und kontinuierliches Monitoring

- Benennung von Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten

            Verwaltung

• Die Frankfurter Stadtverwaltung sollte stärker auf neue Technologien und Managementmethoden setzen. Beim Einsatz künstlicher Intelligenz könnte die Verwaltung eine Pilotfunktion übernehmen.
• Die Zusammenarbeit mit den Landkreisen (z.B. Infrastrukturentwicklung, Ansiedlungsaktivitäten, überregionale Lobbyarbeit) muss intensiviert und auf eine pragmatische Grundlage zum Vorteil aller Beteiligten gestellt werden.

Frankfurt(Oder), den 06.05.2024

Frankfurter Netzwerkstatt                            Viadrina Center of Polish and Ukrainian Studies